Kultur

Einweihung des Dr. Neudörfer Denkmals

Mit einer Feier im kleinen Rahmen wurde dem Arzt Arthur Neudörfer aufgrund seiner Verdienste um das Gesundheitsweisen der Stadt Hohenems ein Denkmal gewidmet.

Nahezu 30.000 Operationen hatte er in den 40 Jahren als Chirurg und Primararzt in Hohenems durchgeführt – und dabei keinen Unterschied in der Behandlung der Kranken gemacht.

Arthur Neudörfer, geboren 1877 in Wien, wurde 1907 mit der Leitung des „Kaiserin-Elisabeth-Krankenhauses“ betraut. Unter seiner Führung wurde das Krankenhaus Hohenems zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Wertschätzung in der Öffentlichkeit

„Dr. Neudörfer hat mit seinem sozialen Handeln die medizinische Behandlung für alle möglich gemacht. Seinem Verdienst um das Gesundheitswesen der damaligen Marktgemeinde wird nun mit dieser Gedenktafel gedacht“, so Bürgermeister Dieter Egger.

Das Denkmal wurde zwischen der Rotkreuzabteilung und dem Krankenhaus für die Bedeutung und Würdigung Neudörfers errichtet. Dabei handelt es sich um eine Stele und eine Trockenmauer, erbaut aus Ziegeln des ehemaligen Neudörferhauses. Der Historiker Wolfgang Weber und der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy, nahmen diese Ziegelsteine zum Anlass und zeichneten mit ihren Gedanken dahingehend den bewegten Lebenslauf des Arztes nach. Architekt Elmar Nägele erklärte den Entwurfsgedanken und die Ausführung des Denkmals. Die graphische Gestaltung erläuterte Sandro Scherling, der auch den von Daniela Egger entworfenen Text für die Stele verlas.

„Die Gedenktafel wird uns an das Wirken von Dr. Neudörfer für das Landeskrankenhaus Hohenems und seine Patienten erinnern, uns aber auch ermahnen: Der Dienst im Gesundheitswesen soll nicht nur Beruf, sondern auch Berufung sein“, schloss der Verwaltungsdirektor des Landeskrankenhauses Hohenems Andreas Lauterer.

Den abschließenden Segen erteilten Pfarrer Thomas Heilbrun und Krankenhausseelsorger Pater Josef Gruber.

Gedenkimpuls Dr. Arthur Neudörfer

Von Gastprof. Univ.-Doz. Mag. Dr. Wolfgang Weber, MA, MAS:

„Gegrüßt, herzlich willkommen all ihr lieben Gäste,
die ihr versammelt seid zu diesem Freudenfeste.
Der 25 Jahre wollen wir gedenken
und der Erinnerung ein paar Worte schenken“.

„Mit diesen Zeilen eröffnete Antonia Reis ihren Prolog bei der Jubiläumsfeier zur 25. Eröffnung des Hohenemser Spitals am 22. Jänner 1933.

Diese Feier war auch eine Feier für den langjährigen und ersten Primar des Krankenhauses Dr. Arthur Neudörfer.

Wenige Wochen zuvor, am Nikolaustag des Jahres 1932, hatte Bürgermeister August Waibel in der Gemeindevertretung angeregt, Neudörfer für seine Verdienste um die damalige Marktgemeinde und ihr Spital die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.

Dieser Anregung folgte das Emser Kommunalparlament am 19. Jänner 1933 und verlieh dem gebürtigen Wiener „Nicht-Katholiken“ – wie die konservative Vorarlberger Tageszeitung den Geehrten nannte – die Hohenemser Ehrenbürgerschaft.

Nach Guntram Hämmerle und Sr. Joachima Profanter war Neudörfer erst der dritte von insgesamt fünf Hohenemser Ehrenbürgern. (Konrad Renn 1957, Otto Amann 1999).

Dr. Arthur Neudörfer ist einer der am häufigsten öffentlich geehrten Hohenemser Bürger. Das verweist auf die große Verehrung, die er während und nach seinem Leben erfuhr.

Vier Jahre nach seinem Tod am 31. Mai 1952 wurde wenige hundert Meter von hier eine Straße nach ihm benannt.

Am 24. Februar 1999 enthüllten der damalige Bürgermeister Christian Niederstetter und der Spitalsreferent Kurt Raos im inneren Eingangsbereich der heutigen Palliativstation eine Gedenktafel und eine Gedenkvitrine an den über die engeren Grenzen von Hohenems hinaus bekannten Chirurgen.

Heute wird mit tönernen Resten aus seinem ehemaligen Wohnhaus ein weiterer Gedenkort im öffentlichen Raum in unmittelbarer Nähe seines 40-jährigen medizinischen Schaffens eröffnet und geweiht.

Der Text zum Gedenkort von Daniela Egger reflektiert auf dieses medizinische Schaffen und seine intrinsische Motivation dafür.

Das Gedenkobjekt von Architekt Elmar Nägele symbolisiert das, was wir in der Zeitgeschichte und politischen Bildung, und das ist meine Profession, in Anlehnung an den deutschen Geschichtstheoretiker Reinhard Koselleck als Schichten der Erinnerung bezeichnen.

Nägeles fünf bzw. sechs unterschiedlich gelegte Ziegelreihen können als jene sechs Phasen eines Lebens gelesen werden, die wir in psychologischen Modellen des Lebens finden.

Sie können auch als die sechs Identitäten des Arthur Neudörfer gelesen werden

  • als Sohn jüdisch-christlicher Eltern, dessen Vater Generalstabsarzt war und mit dem in Mexiko zum Kaiser ausgerufenen Habsburger Maximilian ebendort hinging;
  • als Bruder von Anna, die eine Schwiegertochter des Freimaurers, Schriftstellers und Vizepräsidenten des ÖOC Adalbert Goldscheider war;
  • als Student an einer durch und durch deutschnationalen Wiener Universität, die auch Sigmund Freud zum Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft werden ließ;
  • als Assistent eines der besten Gynäkologie-Operateure in Europa, nämlich Rudolf Chrobak, der u. a. eine noch heute angewandte OP-Methode für Zervixkarzinome entwickelte;
  • als Sekundararzt des Wiener Impfpioniers Richard Paltauf (über den ich angesichts eines Jahres Corona-Impfung nicht mehr sagen will);
  • oder eben als Gründungsprimar und ärztlicher Leiter des Hohenemser Spitals von 1908 bis 1948.

Sie können die Gedenkmauer von Elmar Nägele aber auch als Summe ihrer dutzenden Einzelteile sehen; und dann steht jeder Ziegelstein für ein Ereignis im Leben von Dr. Arthur Neudörfer. Viele dieser Ereignisse sind bekannt. Sie werden in Gedenkschriften und Straßennamenbücher oder auf der hier angebrachten Stele genannt und erzählt.

Das sind z. B. die 30.000 Operationen, die er durchgeführt haben soll, von denen zwei Drittel nicht an Hohenemser, sondern an auswärtigen Patienten in der Regel erfolgreich durchgeführt wurden.

Oder die Einführung der Radium-Therapie 1931 hier am Emser Spital, welche dem Haus für viele Schwerkranke aus dem Bodenseeraum eine sprichwörtliche und kurative Strahlkraft verlieh. Das sind quasi die Grund- und Vormauern des Neudörferschen Lebenswerkes.

Weit weniger bekannt sind einzelne Ziegel zwischen diesen Mauern. Im ersten Jahr seines Wirkens lieferte sich Dr. Neudörfer etwa ein heftiges Gefecht mit dem Hohenemser Gemeindearzt Dr. Geiger. Der Katholik Geiger verweigerte die Aufstellung einer Madonna-Statue im Eingangsbereich des Krankenhauses. Der Nicht-Katholik Neudörfer befürwortete sie.

Ein in den offiziellen Biographien gerne erwähnter Ziegelstein sind Dr. Neudörfers zwei Kriegsauszeichnungen, das Ehrenkreuz des Roten Kreuzes 2. Klasse und das Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens, welche ihm angeblich wegen Tapferkeit vor dem Feind 1915 und 1916 verliehen wurden.

Wenn Sie die Dissertation meines Studenten Dominik Ender über die berittenen Tiroler Landeschützen lesen, deren Regimentsarzt Dr. Neudörfer war, werden sie feststellen, dass er in keinem der Gefechtsberichte vorkommt. Vor dem Feind kann ein solcher Ziegelstein der Tapferkeit also schwer erworben sein.

Vollkommen im Dunklen bleiben jene Ziegelsteine, welche Dr. Neudörfers Jahre der NS-Diktatur betreffen. In den Tageszeitungen ist eine Spende von ihm im Mai 1939 an das nationalsozialistische Winterhilfswerk überliefert. In der Höhe von 50 Reichsmark. Die Weberei Gebrüder Mathis gab zum selben Zeitpunkt 10 Reichsmark; Graf Clemens Waldburg-Zeil und die Brauereigenossenschaft Engelburg je 20 Reichsmark.

Solche Ziegelsteine zu werfen, ist die Aufgabe einer neutralen Vermittlungsarbeit über die menschliche Vergangenheit.

Die Stadt Hohenems und die Krankenhausbetriebsgesellschaft haben dafür bereits vor drei Jahren bei der Enthüllung des Denkmals für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie wenige Meter von hier den sprichwörtlichen Grundstein gelegt.

Zwischen dem neuen, heute eröffneten Erinnerungsort an Dr. Neudörfer und der nach ihm 1956 benannten Straße einige hundert Meter nördlich von hier, ist so eine medizingeschichtliche Erinnerungsachse entstanden, welche in Vorarlberg einmalig ist.

Auf dieser Hypotenuse des Gedenkens an einen verdienten Mediziner liegen zudem noch die Palliativstation und das Euthanasie-Erinnerungszeichen, welches die Stadt Hohenems mit dem hiesigen Lions Club 2019 realisierte.

Diese Hypotenuse der Neudörferschen Erinnerung zu einem Gedenk-Dreieck zu erweitern, dessen rechter Winkel z. B. das Steinach-Haus im Jüdischen Viertel darstellen könnte, wäre eine Herausforderung für eine zeitgemäße Erinnerungsarbeit, der sich eine moderne Stadt wie sie Hohenems ist, bereits stellte und damit die Erinnerungslandschaft nicht nur in Vorarlberg um eine ganz wesentliche, nämlich die medizingeschichtliche Komponente, bereichert.

Dazu gratuliere ich Bürgermeister Egger, der Gemeindevertretung, dem Kulturreferat sowie der KHBG als Grundbesitzerin und bin schon gespannt darauf, wie sich die künftigen Vermittlungsangebote in diesem medizingeschichtlichen Gedenk-Dreieck entwickeln werden. Aktuell sind sie jedenfalls einmalig, da erstmalig.“

Gedanken von Dr. Hanno Loewy

Der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems zu Wolfgang Webers Impuls anlässlich der Einweihung des Dr. Neudörfer Denkmals:

„Erlauben Sie mir, auch als heutiger Bewohner des von Wolfgang Weber angesprochenen ‚Steinach-Hauses‘, noch ein paar persönliche Bemerkungen.

Medizingeschichte wirft heute viele Fragen der Gegenwart auf. So manches daran entzieht sich einfachen Antworten und Urteilen. Eugen Steinach zum Beispiel war ein Pionier der Hormonforschung. Bis heute profitieren unzählige Menschen weltweit von seinen Erkenntnissen. Aber nicht alles, woran Steinach arbeitete, kann uns heute noch ethisch gerechtfertigt erscheinen. Gleichgeschlechtliche Liebe war für ihn, wie für viele seiner Zeitgenossen, eine Krankheit die es zu ‚heilen‘ galt. Das wissen wir heute besser.

Euthanasie, also der Mord an Kranken, galt vielen Medizinern, auch manchen jüdischen darunter, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als vernünftige Maßnahme, sei es um Leid zu ersparen oder auch finanzielle Lasten von Familien und Staat. Wie Arthur Neudörfer darüber dachte, wissen wir nicht. Erst Recht nicht, was in ihm vorging, als die Nationalsozialisten den Krankenmord als Rassehygiene zum Programm erhoben.

Und erst Recht vor Nationalismus war auch ein Arthur Neudörfer nicht gefeit. Auch dann, als dieser über einen, sagen wir es halb ironisch, halb im Ernst, gesunden Lokalpatriotismus weit hinaus ging. Solcher Lokalpatriotismus war es gewesen, der die wenigen noch in Hohenems lebenden Juden, und viele ihrer Verwandten in Wien und anderswo, dazu veranlassten, einen großen Teil der Spenden für den Bau des Krankenhauses aufzubringen, dessen Leitung Arthur Neudörfer übernahm.

Wie ist es ihm gelungen, 1938 und danach, aus dem Blick der germanischen Rassenwächter abzutauchen? Welche Verbiegungen waren dafür nötig? Wie ging es Neudörfer, als die allerletzten jüdischen Insassen des Altersheims, Gisela Figdor und Frieda Nagelberg, wenige Meter von hier abtransportiert wurden.

Wieviel Mut war nötig, um den jüdischen Sozialdemokraten Oskar Trebitsch auf seiner Flucht von Wien in die Schweiz im Hohenemser Krankenhaus zu verstecken, eine Nacht in einer Badewanne?

Und wie sehr war Arthur Neudörfer damals, 1938, überhaupt bewusst, in welcher Gefahr er selbst schwebte?

Nicht auf jede dieser Fragen werden wir überhaupt je eine Antwort bekommen. Aber sie werden weiter an uns nagen. Und vielleicht unsere Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Fragen unserer Gegenwart schärfen.

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